
Anlässlich des 50-jährigen Bestehens unserer Schule hielt Herr Wolfgang Bleyer, ehemaliger Bonhoeffer-Schüler, eine bewegende Ansprache zu 50 Jahren Schulgeschichte. Wir freuen uns, seine Rede an dieser Stelle einem größeren Publikum zur Verfügung stellen zu dürfen.
„Ich war eine Bonhoeffer-Schülerin.“ oder „Ich war ein Bonhoeffer-Schüler.“
Diesen Satz habe ich oft gehört, auch von manch politisch engagiertem Menschen aus diesem Landkreis. Es konnte natürlich nicht stimmen.
In diesem Jahr haben viele beeindruckende und würdige Gedenkfeiern stattgefunden, um an Dietrich Bonhoeffer zu erinnern.
Vor 80 Jahren wurde er von den Nazis im KZ Flossenbürg ermordet.
Trotzdem dieser Satz.
Es ist der Respekt, eine Würdigung, auch ein wenig Stolz, ein Gymnasium besucht zu haben, das den Namen dieses wunderbaren Mannes trägt.
Mit seinem Streben nach Menschlichkeit und Freiheit, seinem Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit, für einen solidarischen und toleranten Umgang miteinander, für die Bewahrung der Natur, mit seiner Standhaftigkeit und Zivilcourage hat er vor allem auch jungen Menschen überzeugend vorgelebt, was zum Bildungsauftrag der Schulen, also zum Leben gehört.
Dietrich Bonhoeffer, ein Mensch, „der eigene Interessen der Gemeinschaft unterordnete und unter Einsatz seines Lebens für Freiheit und Demokratie in einer besseren Zukunft kämpfte“, so der kommissarische Schulleiter Wolfgang Reich-Kornett bei der feierlichen Namensgebung.
Die war vor 25 Jahren am 12. Oktober 2000.
Lieber Florian Schön, liebe Bonhoeffer-Schulgemeinschaft, liebe Gäste,
mir war es wichtig, am Anfang auch an dieses Jubiläum zu erinnern.
40 Jahre vorher hatte es schon ein „Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium“ in Ahlhorn gegeben, 1959 gegründet, ein Ganztagsgymnasium als Tagesheimschule in Trägerschaft der Evangelisch-Lutherischen Kirche Oldenburg. Unterricht an fünf Tagen in der Woche – damals eines der vielen Reform-Merkmale. Ein bundesweit erster Modellfall. Dieses private Gymnasium entfaltete eine große Außenwirkung und wurde schnell öffentlich.
Besuchergruppen aus dem In- und Ausland wechselten sich ab, ARD und ZDF berichteten. Der Deutsche Bildungsrat, eine von der Bundesregierung eingerichtete Kommission, die frischen Wind in die Bildungslandschaft bringen sollte, wollte sie als Vorbild für weitere 40 Tagesheim- und Ganztagsschulen in der damaligen Bundesrepublik. Die Politik entschied sich dann für den kostengünstigsten Weg: Der Bildungsrat wurde aufgelöst.
Ich habe diese Schule besucht und dort mein Abitur erworben.
Ich war Bonhoeffer-Schüler.
Schon 15 Jahre später wollte es die Kirche nicht mehr.
Das führte zur Gründung dieses Gymnasiums, dessen 50 Jahre wir heute hier feiern. Eine ungemein spannende Entstehungsgeschichte, eure „Geburt“.
Die möchte ich kurz schildern. Ich glaube, dafür ist hier und heute genau der richtige Anlass.
Es waren dramatische Umstände und es hätte auch schiefgehen können.
Wir blicken zurück: Es war der 21. Juni 1974.
Am Abend, 20:00 Uhr, tagte der Schulelternrat für die Klassen 5 bis 12 des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums im Speiseraum der Ahlhorner Schule mit vielen schulischen Gästen und Zuhörern. Ein Vertreter des Oberkirchenrates wollte über die nächsten Jahre, die zukünftige Entwicklung von Erziehung und Unterricht an der Schule sprechen.
Das hatte sich allerdings erledigt.
Einen Tag zuvor hatte die kirchliche Synode überraschend und für viele unerwartet auf ihrer Tagung in Rastede beschlossen, das Gymnasium aufzugeben. Viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wussten es noch gar nicht. Plötzlich war eine neue Situation entstanden.
Es ging nun um die „Abwicklung“ der Schule. Niemand hatte dafür einen Plan.
Es galt, größeren Schaden von den rund 300 Schülerinnen und Schülern abzuwenden und für sie eine Perspektive zu finden.
Es musste schnell Klarheit geschaffen werden für alle Beteiligten.
Eltern sahen das Abitur für ihre Kinder in der Oberstufe stark gefährdet.
An den umliegenden Gymnasien (Cloppenburg, Delmenhorst, Vechta) wären entsprechende Kurse, Fächerkombinationen und Latein (als 2. Fremdsprache) nicht wählbar. Die Gemeinde Großenkneten würde ein wohnortnahes gymnasiales Angebot für ihre Bevölkerung ersatzlos verlieren.
In der Gemeinde suchten die politisch Verantwortlichen nach Lösungen.
Ihrer Wachsamkeit, ihrem schnellen Einsatz und zielgerichteten Handeln war das zu verdanken, was dann ablief.
Einige hatten bemerkt, was sich zufällig zeitgleich im Niedersächsischen Landtag in Hannover ereignet hatte. Wenige Tage vorher, am 30. Mai, war dort ein neues Schulgesetz verabschiedet worden. Es sah erstmals die Einrichtung einer Schulform „Gymnasium im Sekundarbereich I“ (7. bis 10. Schuljahrgang) in kleineren Gemeinden vor.
Welch glücklicher Umstand.
Die Kommunalpolitiker sahen darin die Möglichkeit, ihre Verantwortung für alle vom Auflösungsbeschluss der Kirche Betroffenen wahrzunehmen, sollte die Kirche nicht einlenken und ihre Entscheidung noch wieder zurücknehmen.
Eile war geboten. Schülerinnen und Schüler sollten „aufgefangen“, wechselwillige Lehrkräfte gehalten werden.
Dienstag, 25. Juni 1974, 5 Tage nach dem Auflösungsbeschluss der Synode: Der Schulausschuss der Gemeinde tagte zum Tagesordnungspunkt
„Errichtung eines Gymnasiums im Sekundarbereich I“.
Eine entsprechende Beschlussvorlage für den Gemeinderat wurde verfasst.
Donnerstag, 27. Juni 1974:
Der Rat der Gemeinde Großenkneten trat um 18:00 Uhr zusammen.
Er beschloss einmütig, die Einrichtung eines öffentlichen Gymnasiums für den Sekundarbereich I in der Gemeinde bei der zuständigen staatlichen Schulverwaltung zu beantragen.
In den folgenden Wochen setzen sich alle mit dieser Angelegenheit Befassten auf Verwaltungswegen, Parteischienen und in Gesprächen mit dem Oberkirchenrat ein, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Kontakte wurden geknüpft zu Abgeordneten in Land und Bund, zu Landräten, gar bis hinein in das Bonner Verteidigungsministerium. Von der kirchlichen Entscheidung waren nämlich viele Familien Bundeswehrangehöriger in Ahlhorn und Umgebung betroffen, die dort stationiert waren und deren Kinder das Bonhoeffer-Gymnasium besuchten.
Überall wurde um Unterstützung für ein gemeindeeigenes Gymnasium und um einen entsprechenden Vorstoß im Kultusministerium in Hannover geworben.
All diese Bemühungen hatten schließlich Erfolg:
Mit Erlass vom 4. November 1974 wurde die Errichtung eines öffentlichen Gymnasiums im Sekundarbereich I in der Gemeinde Großenkneten zum
1. August 1975 genehmigt. Drei Monate hatte es gebraucht.
Heute undenkbar!
Jetzt konnte die Gemeinde ein neues Gymnasium auf den Weg bringen und mit dem Oberkirchenrat Regelungen für eine geordnete Übernahme verhandeln, vereinbaren und umsetzen. So geschah es.
Nach diesen heftigen „Geburtswehen“ folgte schließlich rechtzeitig vor Beginn des nächsten Schuljahres eure „Geburtsstunde“:
Am 23. Juni 1975, um 11:15 Uhr, übernahm die Gemeinde Großenkneten als Schulträger die Klassen 5 bis 9 des ehemaligen kirchlichen Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums. Ab August 1975 waren daraus die Klassen 6 bis 10 geworden.
Das erste Schuljahr des neuen Gymnasiums hatte begonnen.
Am 7. August kehrten die Schülerinnen und Schüler aus den Sommerferien zurück. Es war der erste Unterrichtstag an ihrer neuen Schule.
So wurde im Jahre 1975 die von der kirchlichen Synode nicht mehr gewollte Schule völlig unerwartet zur „Keimzelle“ dieses Gymnasiums.
Sehr gewöhnungsbedürftig war der „Geburtsname“:
„Gymnasium im Sekundarbereich I Großenkneten“
Nach dem ersten Umzug kam noch „in Ahlhorn“ hinzu.
Aber weitere 25 Jahre später kehrte auch Bonhoeffer zurück.
Seitdem gibt es wieder ein „Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium“ in Ahlhorn, nämlich euch. Damit meine ich zuerst euch Schülerinnen und Schüler, denn ihr seid hier am wichtigsten und ihr bringt Leben in die Schule.
Eigentlich wollte ich diesen Rückblick zu den Anfängen hier nicht allein vortragen. Ich wollte einen Freund mitbringen. Das war so verabredet. Helmut Delbanco. Als er 95 Jahre alt wurde, schrieb er mir, jetzt wolle er es wissen und auch die 100 schaffen. Es hat nicht ganz gereicht. Am Beginn seines 97. Lebensjahres, im April 2023, ist er verstorben. Gern wäre er dabei gewesen.
Helmut Delbanco hatte bis zuletzt um den Erhalt des alten Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums gekämpft und dafür viele Vorschläge vorgelegt. Ihm ging es immer zuerst um die Schülerinnen und Schüler, um deren Zukunft. Was sollte aus ihnen werden, wenn es das Gymnasium nicht mehr gab?
Er wollte sie nicht im Stich lassen und ist bis zuletzt gern bei und mit ihnen in Ahlhorn geblieben.
Er war der letzte Schulleiter des kirchlichen Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums und hat danach in leitender Funktion auch die Geschicke dieses Gymnasiums mitgestaltet. Auf seinen Einsatz und sein Wirken für beide Ahlhorner Gymnasien, die den Namen Dietrich Bonhoeffers tragen, können wir nur mit großer Dankbarkeit zurückblicken.
Ja, das alles ist 50 Jahre her.
Inzwischen seid ihr größer und reifer geworden, über die Klasse 1o hinausgewachsen und habt es bis zur Abnahme des Abiturs geschafft.
Das ist – so glaube ich – auch schon wieder gut 10 Jahre her, eine sehr ungewöhnliche Erfolgsgeschichte mit einem ganz besonderen Start.
Ich kenne keine Gemeinde dieser Größenordnung sonst, in der ein Gymnasium aus dem Stand mit den Klassen 6 bis 10, also mit 5 Schuljahren gestartet ist und sich so stark entwickelt hat und weiterentwickeln wird.
Zu diesen 50 Jahren spreche ich Ihnen und euch im Namen der Schulgemeinschaft des ehemaligen Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums Lob und Anerkennung aus. Herzlichen Glückwunsch!
Ich möchte mit einem Zitat von Dietrich Bonhoeffer schließen:
„Jeder Mensch aber ist nicht nur er selber, er ist auch der einmalige, ganz besondere, in jedem Fall wichtige und merkwürdige Punkt, wo die Erscheinungen der Welt sich kreuzen, nur einmal so und nie wieder. Darum ist jedes Menschen Geschichte wichtig, ewig, göttlich, darum ist jeder Mensch, solange er irgend lebt und den Willen der Natur erfüllt, wunderbar und jeder Aufmerksamkeit würdig.“
Ich lese daraus u. a., dass wir die Einzigartigkeit eines jeden Kindes anerkennen und seine Seele nicht verletzen sollen. In beeindruckender Weise wird sein Leben und Werk auf den Internetseiten eurer Schule geschildert und gewürdigt.
Wir wünschen euch, dass ihr noch viele weitere Jahrzehnte erfolgreich in seinem Sinne wirken werdet und dass es euch in dieser Zeit gelingt, Schülerinnen und Schüler stark zu machen gegen alle Widrigkeiten dieser Welt, für ein solidarisches Miteinander und für eine friedliche Zukunft.
Danke!
Wolfgang Bleyer, 09/25